Knut Gerschau

Klare Lehren aus Afghanistan-Einsatz

Am 19. September 2022 wurde die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ eingesetzt. Als Mitglied der Kommission habe ich mich gemeinsam mit Sachverständigen sowie anderen Abgeordneten intensiv mit den Erfahrungen des 20-jährigen Afghanistan-Einsatzes auseinandergesetzt. Ziel war es, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und Empfehlungen für eine wirksamere Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu erarbeiten. Nach über zwei Jahren Arbeit liegt nun der Abschlussbericht vor, der zentrale Defizite aufzeigt und konkrete Lösungsansätze vorschlägt.

Der Bericht macht unmissverständlich deutlich, dass der Afghanistan-Einsatz in vielerlei Hinsicht ein strategisches Scheitern war. Zwar konnten punktuelle Erfolge erzielt werden, etwa bei der Förderung von Bildung und Gesundheit, doch fehlte es an einer realistischen, abgestimmten Strategie, die die spezifischen lokalen Gegebenheiten ausreichend berücksichtigte. Die Rückkehr der Taliban hat viele Fortschritte zunichtegemacht und die Grenzen des deutschen Engagements verdeutlicht.

Ein zentrales Problem war die Unterschiedlichkeit der Motive und Zielsetzungen der internationalen Partner. Während Deutschland darauf abzielte, die Lebensverhältnisse der afghanischen Bevölkerung zu verbessern und langfristige Stabilität zu schaffen, fokussierten sich die USA vor allem auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Diese unterschiedlichen Prioritäten führten zu strategischen Gegensätzen, die den Erfolg des Einsatzes beeinträchtigten. Der Bericht empfiehlt deshalb, die Motive und Ziele künftiger Einsätze klar und transparent zu formulieren, offen mit internationalen Partnern zu diskutieren und mit einem definierten Zeithorizont sowie klaren Abbruchkriterien zu versehen.

Ein weiteres Problem war die unzureichende Kommunikation und Abstimmung zwischen den deutschen Ministerien. Während des Afghanistan-Einsatzes fehlte es an einer einheitlichen Strategie und klaren Zuständigkeiten, was zu Rivalitäten und Kompetenzgerangel führte. Dies hatte zur Folge, dass Maßnahmen oft unkoordiniert und ineffektiv waren. Die Mehrheit der Mitglieder der Enquete-Kommission spricht sich deshalb für die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates aus. Ein solcher Rat, angesiedelt im Bundeskanzleramt und geleitet von einem Nationalen Sicherheitsberater, könnte einheitliche Lagebilder erstellen, ressortübergreifende Entscheidungen verbindlich machen und die Umsetzung der nationalen Sicherheitsstrategie besser koordinieren.

Ein weiteres Problemfeld war die unscharfe Aufgabenverteilung zwischen militärischen und zivilen Akteuren. In Afghanistan übernahm die Bundeswehr häufig Aufgaben, die eigentlich in den Verantwortungsbereich zivilgesellschaftlicher Organisationen fallen, etwa den Bau von Brunnen oder Schulen. Dies führte nicht nur zu einem Vertrauensverlust, sondern auch dazu, dass zivile Akteure ihre Arbeit teilweise nicht mehr sicher ausführen konnten. Der Bericht empfiehlt daher eine klare Abgrenzung der Rollen: Die Bundeswehr sollte primär ein stabiles und sicheres Umfeld schaffen, in dem zivile Akteure unabhängig arbeiten können.

Ein besonders gravierender Fehler war die fehlende Einbindung der afghanischen Bevölkerung in Planungen und Entscheidungen. Zu oft wurden Projekte an den Bedürfnissen und Realitäten vor Ort vorbei geplant, wodurch nachhaltige Erfolge ausblieben. Künftige Projekte sollten gemeindebasiert sein und langfristig von der lokalen Bevölkerung getragen werden. Dies erfordert die Förderung lokaler Strukturen, den Aufbau von Kapazitäten sowie kontinuierliches Monitoring und Evaluation der Maßnahmen.

Die Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz sind eindeutig: Eine wirksame Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik erfordert klare Ziele, eine bessere Abstimmung zwischen den Ministerien sowie die konsequente Einbindung der lokalen Bevölkerung. Die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates ist dabei ein zentraler Schritt, um zukünftige Einsätze effektiver zu gestalten. Gleichzeitig muss die internationale Zusammenarbeit, insbesondere innerhalb der EU, NATO und Vereinten Nationen, verbessert werden, um abgestimmte Strategien und eine effiziente Ressourcennutzung zu gewährleisten.

Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission umfasst 72 konkrete Empfehlungen, die darauf abzielen, die deutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik grundlegend zu verbessern. Diese Empfehlungen reichen von der stärkeren Einbindung des Bundestags in die Planung und Überwachung von Einsätzen bis hin zur Förderung langfristiger und gemeindebasierter Projekte vor Ort.

Die Arbeit der Enquete-Kommission zeigt, dass Deutschland aus den Fehlern der Vergangenheit lernen kann und muss. Die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen bietet die Chance, künftige Einsätze strategisch besser vorzubereiten und nachhaltigere Ergebnisse zu erzielen. Angesichts globaler Herausforderungen wie Klimawandel, geopolitischer Konflikte und neuer Bedrohungen wie Cyberangriffe ist es wichtiger denn je, eine vernetzte und strategisch ausgerichtete Politik zu verfolgen. Der Afghanistan-Einsatz mag in vielerlei Hinsicht gescheitert sein, doch die daraus gewonnenen Erkenntnisse können der Schlüssel zu einer wirksameren deutschen Außenpolitik sein.