Knut Gerschau

Entwicklungs- zusammenarbeit bleibt unverzichtbar

Foto: Thomas Imo/photothek.net

In den letzten Monaten ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Immer mehr Menschen fragen sich, was sie uns bringt und ob das Geld nicht besser für Probleme in Deutschland selbst investiert werden sollte. Auch führende Politiker stimmen in diesen Chor ein, der zunehmend populistische Züge annimmt.

Dabei haben die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in Ländern des sogenannten „Globalen Südens“ (der auch viele Länder auf der Nordhalbkugel umfasst) mehr mit uns zu tun, als den meisten Kritikern bewusst ist. Auch geopolitisch hat sich die Sachlage verändert: Die großen Entwicklungs- und Schwellenländer haben sich zu einem wichtigen Teilnehmer in einem globalen Systemwettbewerb entwickelt. Der afrikanische Kontinent hat mit 54 Staaten mehr Länder als jeder andere Erdteil und somit großes Gewicht in zentralen Organen der gegenwärtigen regelbasierten Ordnung wie den Vereinten Nationen.

Werfen wir einen Blick zurück. Im Jahr 1961, zur Zeit des „Kalten Krieges“, suchte man nach Freunden und Verbündeten in der Welt. Im November 1961 wurde das „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit“ gegründet. Es sollten „Entwicklungsländer“ beim wirtschaftlichen Aufbau unterstützt werden. Der Zusatz in der Bezeichnung des Ministeriums „und Entwicklung“ kam erst 1993 dazu. Erster Bundesminister war ab dem 14. November 1961 Walter Scheel – ein Liberaler!

Entwicklungspolitik ist und bleibt ein essenzieller Bestandteil unserer internationalen Aktivitäten. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist einer der größten globalen Geldgeber und hat über die Jahre viele Erfolge erringen können. So wurde zum Beispiel die Kindersterblichkeit halbiert, und Millionen von Menschen haben Zugang zu sauberem Wasser erhalten. Gleichzeitig hinterfragt sich kein Politikfeld so intensiv selbst wie die EZ. Maßnahmen werden regelmäßig ausgewertet, um langfristige Wirkungen effektiv zu erzielen.

Es gibt viele gute Gründe für eine Fortführung der Entwicklungspolitik:

  • Deutschland ist als Exportnation international so stark vernetzt wie kaum ein anderes Land auf der Welt. Was in Afrika, Asien und Lateinamerika geschieht, hat direkte Auswirkungen auf unsere Wirtschaft und unsere Bevölkerung. Wenn andere Nationen wie China und Russland Entwicklungs- und Schwellenländer an sich binden, indem sie Infrastruktur finanzieren und ihre Exporte dorthin verstärken, hat dies für uns kritische wirtschaftliche Auswirkungen.
  • Wir sind ein rohstoffarmes Land. Für den Aufbau moderner Industrien wie Elektromobilität benötigen wir Rohstoffe, die vorzugsweise in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen. Deswegen bauen wir Rohstoffpartnerschaften im gegenseitigen Interesse auf.
  • Gleiches gilt für die Energieversorgung. Im Mittelpunkt stehen dabei erneuerbare Energien, deren Aufbau eine Win-Win-Situation darstellt: für eine sichere Energieversorgung im Globalen Süden ebenso wie für die Möglichkeit des Exports nicht-fossiler Energien in die Industrieländer der nördlichen Hemisphäre. Ein gutes Beispiel sind die von der Bundesregierung forcierten Wasserstoffpartnerschaften. Die benötigten Investitionen in neue Energien werden allerdings nur mit zusätzlichem privatem Kapital zu stemmen sein.
  • Der Fachkräftemangel lähmt jetzt schon viele Bereiche unserer Wirtschaft. Wir werden nicht umhinkommen, qualifizierte Menschen aus dem „globalen Süden“ bei uns aufzunehmen, damit diese zur Sicherung unserer Zukunft beitragen. Dafür bedarf es Initiativen für Ausbildung und Qualifizierung in unseren Partnerländern. Durch gute Bildung kann nicht nur ein Mittelstand in Afrika und Asien geschaffen werden, es können auch Fachkräfte ausgebildet werden, die wir in Europa auf Grund der demographischen Entwicklung dringend benötigen. Dafür bedarf es auch einer moderner Einwanderungspolitik, angelehnt an Länder wie Kanada und Australien. Das BMZ ist in dieser Hinsicht sehr aktiv und fördert Bildung in Afrika und Asien auf allen Ebenen.
  • Deutschlands Entwicklungszusammenarbeit ist auch von großer Bedeutung für die Stärkung der Resilienz angesichts der Auswirkungen des Klimawandels. Überschwemmungen, Dürren und andere Katastrophen in Folge des Klimawandels gefährden vor allem Menschen im Globalen Süden. Diese Gefährdung führt zu Migrationsbewegungen, die wir nicht bei uns in Deutschland, sondern vor Ort vermeiden sollten.

Es gibt auch viele Gründe zur Kritik. Diese teile ich:

  • Entwicklungspolitik nach dem Prinzip der Gießkanne führt uns nicht weiter. Wir brauchen nicht Hunderte kleinteiliger Projekte, die nur wenigen Menschen zugutekommen, sondern durchdachte, effektive und zielgerichtete Projekte.
  • Die Strukturen der EZ sind oft undurchsichtig und überladen. Es kann nicht sein, dass wir in den letzten Jahren in unseren EZ-Organisationen 15 Prozent mehr Mitarbeiter eingestellt haben, ohne dass ein greifbares Ergebnis erkennbar ist.
  • Deutsche Interessen spielen auch eine Rolle. Beide Seiten müssen von Investitionen profitieren können – beispielsweise im Digital- oder Energiebereich.
  • Wir sollten Regierungen, die uns feindlich gegenüberstehen – wie in Afghanistan oder in Burkina Faso, das sich für die Unterstützung durch Russland entschieden hat -, nicht weiter unterstützen. Dies gilt nicht für notwendige humanitäre Hilfe, aber definitiv für gemeinsame Projekte zur wirtschaftlichen Entwicklung.

Es muss erlaubt bleiben, auch Aspekte zur Sprache zu bringen, die bislang nicht gerne gesehen wurden. So zum Beispiel die Frage, ob wir bei unserer Zusammenarbeit Länder bevorzugen sollten, die abgelehnte Asylbewerber im Rahmen bilateraler Verträge zurücknehmen, jedoch keine Länder, die dazu nicht bereit sind. Und die Frage, ob es eines eigenen Ministeriums für die Entwicklungszusammenarbeit bedarf, im Sinne von Effizienz, Sparsamkeit und besserer Koordination innerhalb der Regierung. Keines der G7-Länder außer uns hat hierfür ein eigenes Ministerium. Diese Debatte wird uns in den nächsten Monaten intensiv beschäftigen. Denn wir reden hier über deutsche Steuergelder. Über diese müssen wir sorgfältig entscheiden.